In unserer Reihe “Personen aus der Szene” stellen wir euch regelmäßig Persönlichkeiten vor, die in Eurer Übersicht nicht fehlen sollten. Diese Menschen bringen die Szene wirklich voran und überzeugen mit spannenden Ideen und interessanten Insights.
Heute geht es um: Jörg Bauer
Hallo Jörg und vielen Dank, dass du dir die Zeit für Interview nimmst. Einige unserer Leser kennen dich vielleicht als Pressesprecher der Suchmaschine StartPage. Aber stelle dich doch bitte einmal selbst vor.
Ich bedanke mich für die Einladung und freue mich hier zu sein. Seit 2011 bin ich verantwortlich für die Kommunikation bei der Datenschutz-Suchmaschine StartPage. Ich würde mich selbst durchaus als Aktivist bezeichnen und bin neben dem Datenschutz auch in anderen Feldern tätig. Jedoch gehören der Datenschutz und der Schutz der Privatsphäre seit jeher zu meinen großen Anliegen. Deshalb engagiere ich mich auf Demos ect. und nutze neben der Öffentlichkeit, die mein Beruf mit sich bringt, demokratische Instrumente, um einen der wichtigsten Eckpfeiler der Demokratie zu verteidigen und zu schützen. Seit 2015 betreibe ich auch einen Verein in dieser Sache. Wichtig ist für mich, nicht ständig zu lamentieren, wie schrecklich alles ist, sondern den Menschen zu zeigen, wie sie sich gegen die Begehrlichkeiten von Wirtschaft und Politik zur Wehr setzen können und damit selbst zu Verteidigern unseres Rechtsstaates werden.
Unsere Leser haben sich sicher alle schon einmal auf die eine oder andere Weise mit den Themen Datenschutz und Privatsphäre im Netz auseinandergesetzt. Wo liegt denn die Besonderheit von StartPage gegenüber anderen Suchmaschinen? Denn es muss ja auch einen Grund haben, wenn ein Idealist bzw. Aktivist wie du sich einem Unternehmen über so einen langen Zeitraum verschreibt.
Die Besonderheit liegt schon beim Inhaber, obwohl ich da wenig Vergleich habe. Aber Robert Beens ist für mich der Inbegriff eines Datenschützers der ersten Stunde. Es ist sicher ein Alleinstellungsmerkmal, dass StartPage von ihm allein geführt wird, ohne Finanzierung oder Einfluss von außen.
Technisch sind die Merkmale eindeutig. StartPage.com verfügt über die besten Suchergebnisse (Google) und die Sicherheit der diskretesten Suchmaschine der Welt (Ixquick). StartPage verfügt als einzige Suchmaschine weltweit über das europäische Datenschutzsiegel und lässt sich regelmäßig von Dritten technisch prüfen. Dabei wird immer wieder bestätigt, dass wir weder persönliche Merkmale wie die IP Adresse speichern, noch das Such- oder Surfverhalten. Wir zeichnen absolut nichts auf und speichern daher auch nichts. Ein weiteres wichtiges Alleinstellungsmerkmal ist unser Proxy-Link. Unter jedem Suchtreffer findet man bei uns einen Link „Anonym öffnen“. Du kannst dir also selbst die Seiten hinter den Ergebnis-Links unter dem Schutz von StartPage ansehen, ohne dass die Websitebetreiber etwas davon mitbekommen.
Ein ganz wichtiger Unterschied zeichnet uns zu unseren Mitbewerbern aus den USA aus. Wir betreiben unsere Server innerhalb der EU. Damit agieren wir nach dem strengen EU Datenschutzrecht und unterliegen nicht restriktiven Gesetzen wie dem Patriot Act, wodurch US Geheimdienste alle Rechte haben, Daten abzuschöpfen, ohne dass die NutzerInnen davon erfahren.
Für uns ist Privatsphäre ein wichtiges Merkmal für Freiheit. Während Menschenrechte in US praktisch in diesem Umfeld außer Kraft gesetzt wurden, können wir Europäer für unser Recht auf Privatsphäre eintreten.
Ixquick und StartPage haben sich doch vor einiger Zeit zusammengeschlossen, oder? Warum sind denn aktuell beide noch erreichbar, und was sind die Unterschiede? Und wie kam es zu dem Zusammenschluss?
Ja, es erfolgte ein Zusammenschluss. Ixquick ist eine Metasuchmaschine, die mit Ergebnissen mehrerer Suchmaschinen arbeitet, während StartPage eine Firewall für die Googlesuche darstellt. Wenn ein User bei StartPage eine Suchanfrage eingibt, wird diese an Google anonymisiert weitergeleitet und genau den selben Weg nur in die andere Richtung nimmt dann die Antwort. So bleiben Ergebnisse ungefiltert und anonym. Und obwohl StartPage wesentlich später gelauncht wurde als Ixquick, wurde StartPage von unserer Nutzercommunity gehypt und damit werden den Annehmlichkeiten und den Suchresultaten von StartPage der Vorzug gegeben. Also konzentrieren wir uns auf die Weiterentwicklung von StartPage. Auch Ixquick hat seine Vorzüge bei Internetrecherchen und seine Fans. Deshalb betreiben wir Ixquick unter Ixquick.eu weiter. Bei Entwicklung und Ausbau hat jedoch StartPage Priorität.
Ich kann mir vorstellen, dass viele Nutzer nicht auf die hochwertigen Google-Ergebnisse verzichten wollen. Kannst du etwas genauer erklären, wir ihr diese ausspielt? Und was sagt Google dazu? Denn auch die Werbeanzeigen kommen ja von Google, oder?
Wir haben mit Google einen Vertrag und bezahlen für die Suchresultate. Die Werbeanzeigen kommen auch von Google und sind auf unserer Seite ebenfalls anonymisiert. Soll heißen, auch über die Ads erhält Google keine Userdaten. Durch die absolute Datensperre können über StartPage keine Persönlichkeitsprofile entstehen, da sie nicht wissen, wer konkret am Suchen ist. Das bewahrt vor anschließender Werbung, die einen bei herkömmlichen Suchmaschinen durch das ganze Internet verfolgt.
Erst wenn du StartPage verlässt, durch Klicken auf ein Suchergebnis, können dich Tracker-Systeme wieder erfassen. Deshalb setzen wir ja unseren Proxy Service ein, durch den unsere User auch auf den folgenden Websites geschützt bleiben. Dabei laden wir die Inhalte der besuchten Seite auf unseren Server und du verlässt zu keinem Zeitpunkt den Schutzschirm von StartPage. All diese Maßnahmen bewahren dich nicht nur vor Verfolgung, sondern auch vor der sogenannten Filterblase.
Besuche dazu auch unsere Datenschutzrichtlinien.
Das hört sich spannend an. Und interessant, dass Google sich darauf eingelassen hat. Wie konntet ihr den Marktführer denn von dieser Kooperation überzeugen? Einfach nur durch die Bezahlung, die bei jeder Suche fließt, oder arbeitet ihr auch noch auf anderen Wegen zusammen?
Wir haben seit 2007 einen Vertrag mit Google und bezahlen hohe Gebühren für die Suchergebnisse. Google profitiert auch von den Einnahmen aus Werbeanzeigen. Mit unseren Datenschutz-Produkten haben wir weltweit zu einem stärkeren Bewusstsein für Privatsphäre im Internet beigetragen. Diese Bemühungen wurden auch von der Öffentlichkeit und Politik wahrgenommen, besonders in Brüssel.
Wir waren auf vielen Seminaren, Kongressen und Vorträgen in der EU und haben uns auch in der politischen Landschaft Europas einen Namen gemacht. Die Menschen in Europa schätzen ihre Privatsphäre und somit auch StartPage.com. Auch Google ist bewusst, dass das Interesse an unseren Produkten sehr groß ist.
Es ist in Googles eigenem Interesse, datenschutzbezogene Mitbewerber zu akzeptieren, da das Unternehmen immer wieder verdächtigt wird, eine Monopolstellung anzustreben. Google hilft uns, im Geschäft zu bleiben. Als Alternative für datenschutzbewusste Menschen erfüllen wir die Aufgabe, Google in ein besseres Licht zu rücken.
Aus wirtschaftlicher Sicht sind wir für Google keine Konkurrenz. Wir haben also noch viel Luft nach oben, bis sich das ändern wird.
Wie sieht es denn mit einer Zusammenarbeit mit Google auf anderen Gebieten aus? Empfehlt ihr zum Beispiel einen bestimmten Browser, wie Chrome, oder plant ihr sogar, einmal einen eigenen Browser anzubieten? Denn eine sichere Suche hilft ja nur bedingt, wenn der Browser trotzdem total viele Daten sammelt oder andere Angriffsflächen bietet.
Wir arbeiten außer mit StartPage in keinem anderen Bereich mit Google zusammen und geben auch keinerlei Empfehlung für Chrome oder andere Produkte.
Natürlich haben wir nach StartPage über weitere Schritte nachgedacht. Wir kamen zu dem Ergebnis, dass die größten Gefahren für die Privatsphäre bei der Websuche und im E-Mail Verkehr zu finden sind. Also entschlossen wir uns dazu StartMail.com ins Leben zu rufen.
Derzeit konzentrieren wir uns auf diese beiden Kernprodukte: Websuche und Mail. In naher Zukunft ist kein eigener Browser geplant. Möglicherweise entwickeln wir jedoch eines Tages Ambitionen, StartPage zu einer Plattform für alle Produkte auszubauen, die die Online-Privatsphäre der User verbessern können.
Es gibt aber Browser wie diverse Mozilla Applikationen oder Tor, die von sich sagen, dass sie Sicherheit für die Privatsphäre bieten. Allerdings haben wir dort zu wenig Einblick, um eine Empfehlung abzugeben. Wichtig ist es sicher, die jeweiligen Geschäftsbedingungen oder Datenschutzerklärungen genau durchzulesen, um sich selbst ein Bild machen zu können. Viele dieser Produkte werden, wie StartPage auch, von Datenschutzexperten geprüft und gegebenenfalls empfohlen. Außerdem gibt es zahlreiche Applikationen für zum Beispiel Firefox, die sehr interessant sind. Privacy Tools bietet eine gute Übersicht.
Auf StartMail wollte ich auch gerade zu sprechen kommen. Kannst du uns das System dahinter ein wenig erläutern? Und wie wird das Angebot bislang von euren Nutzern angenommen?
Wir sehen Privatsphäre als fundamentales Menschenrecht an und haben uns der Aufgabe gestellt, dem durchschnittlichen User Privatsphäre und Sicherheit zu bieten. StartMail wurde entwickelt, um den Menschen zu helfen, ihr Recht auf Privatsphäre mit Hilfe leistungsfähiger Verschlüsselung für ihre tägliche E-Mail-Kommunikation zurückzuerobern.
Wir wollen sichere Kommunikation so transparent wie möglich machen. Zu diesem Zweck wird Open PGP verwendet. Versierte User haben die Möglichkeit, auf alle Kryptographie bezogenen Funktionen zu verzichten und ihre Kryptographie eigenständig zu behandeln und dann über IMAP auf ihre E-Mails zuzugreifen.
Standardmäßig bietet StartMail jedoch die folgenden Sicherheitsfunktionen für User:
- 10 GB E-Mail-Speicherplatz in einem persönlichen Tresor
Jede Menge Platz, um eure sensiblen Kommunikationen zu speichern. - PGP-Verschlüsselung per Mausklick im Webmail-Client
Mit StartMail wird echte Inhaltsverschlüsselung unkompliziert. Wir haben es auf einen einzigen Klick reduziert. Es ist jetzt so schnell und einfach, dass es jeder nutzen kann – selbst Anfänger. - Perfect Forward Secrecy und SSL-Verschlüsselung
Wir verwenden modernste Sicherheitstechnologie (TLS 1.1 & 1.2) um sicherzustellen, dass die gesamte Kommunikation privat bleibt. - Offshore-Schutz vor Überwachung und Spionage der NSA
StartMail hat seinen Sitz in Europa, wo US-basierte Datenerfassungsprogramme nicht direkt angewendet werden. Wir haben noch nie mit Programmen wie PRISM zusammengearbeitet. - IMAP-kompatibel
Ihr könnt StartMail mit euren bevorzugten E-Mail-Programmen wie Outlook, Thunderbird und Apple Mail verwalten. - Einweg-E-Mail-Adressen für Anonymität und Spamschutz.
Für Fälle, in denen ihr eure echte E-Mail-Adresse nicht weitergeben möchtet, könnt ihr spontan welche mit Ablaufdatum erstellen. - Schreibt private E-Mails an jeden
Selbst, wenn euer Empfänger keine Verschlüsselung verwendet, könnt ihr verschlüsselte Nachrichten mit unserer Frage & Antwort-Funktion senden.
Weitere Spezifikationen und eine ausführliche Dokumentation findet ihr in unserem Whitepaper.
Von unseren Usern wird StartMail hervorragend angenommen. Wir haben echte Fans. Denn unser Support kümmert sich liebevoll um jeden User, bis das Problem behoben oder die Frage vollständig beantwortet wurde. Wir sind nach zwei Jahren von den Zahlen begeistert.
Mal ein ganz anderes Thema. Wie sieht es denn mit euren Servern aus? Denn laut eurer Website stehen einige davon in Palo Alto. Fallen zumindest diese dann nicht auch unter den Patriot Act und sind entsprechend auch nicht sicherer als die der Konkurrenz?
Für gewöhnlich versucht StartPage, euch die Suchergebnisse so schnell wie möglich zu liefern, indem eure Suchanfragen zu eurem nächstgelegenen Server geleitet werden. Normalerweise wären diese Server für Amerikaner innerhalb der USA, für Nutzer außerhalb von Nordamerika innerhalb der EU und für Nutzer aus Asien unsere Server in Singapur.
Uns ist bewusst, dass sich nicht alle Nutzer bei dem Gedanken wohlfühlen, dass ihr Datenverkehr – wie verschlüsselt und gesichert er auch sein mag – durch US-Netze transportiert wird. Deshalb bieten wir ihnen jetzt drei Möglichkeiten zur Auswahl ihres Servers:
– Verwende nur Nicht-US-Server
– Verwende nur Nicht-EU-Server
– Verwende den schnellsten/nächstgelegenen Server (standardmäßig aktiviert)
Europäer werden eigentlich standardisiert über unsere EU Server betreut. Doch man kann das nochmals explizit in den Einstellungen festlegen. Und US Gesetzen können nur Firmen unterliegen. Server nicht.
Und wie sieht es aus, wenn eine Regierung, welche auch immer, bei euch wegen der Aufklärung eines Verbrechens anfragt? Habt ihr Möglichkeiten, um diesen dann Daten zukommen zu lassen – oder würdet ihr das schon aus Prinzip nicht machen?
Seit unserer Gründung 1999 hatten wir noch keine Anfragen von Regierungen oder Regierungsbehörden, Nutzerdaten auszuhändigen.
Da wir keine Informationen über die Besucher unserer Webseiten bzw. die Nutzer unseres Services speichern, können wir auch keine Daten an Regierungen oder Sonstige weitergeben. Auch Gesetzesänderungen ändern nichts daran. Wir können keine Daten weitergeben, die gar nicht existieren.
Was denkst du denn, wie ihr theoretisch vorgehen würdet, wenn die EU euch mit einem Gesetz zum Speichern von Nutzerdaten zwingen würde? Auswandern? Mitmachen? Denn viele Nutzer fragen sich doch sicher, wo Datenschutzbemühungen wie StartPage in 2 bis 3 Jahren stehen werden.
Folgende Möglichkeiten könnten sich ergeben:
Erzwungene Herausgabe von Suchanfragen und persönliche Daten, wie die IP Adresse. Hier können wir gar nicht kooperieren, da es bei uns keine gespeicherten Daten gibt.
Erzwungene Änderungen an unserem System, um unsere User künftig auszuspionieren. Unter der gegenwärtigen Gesetzeslage können wir dazu nicht gezwungen werden. Sollte sich dahingehend die Gesetzeslage ändern, werden wir mit allen Mitteln dagegen ankämpfen, sicher nicht kooperieren und gegebenenfalls mit unseren Servern und unserem Unternehmen die EU verlassen.
Kurz gesagt, wir würden rechtlich alles ausschöpfen, um gegen menschenrechtswidrige Gesetzesänderungen anzukämpfen. Bliebe dies ohne Erfolg, verlassen wir entweder die EU oder sperren das Unternehmen zu, bevor wir gegen unsere demokratischen Grundsätze verstoßen und man uns zu etwas machen möchte, was wir nicht sind.
Das hört sich nach einem am Ende doch idealistischen Unternehmen an. Wie schafft ihr es aber, bei allem Idealismus trotzdem ein funktionierendes Unternehmen zu sein, das nicht in Zahlungsschwierigkeiten kommt. Habt ihr neben der Werbung noch andere Einnahmequellen oder arbeiten viele bei euch neben ihrem Beruf als Freiwillige?
Wir können mitteilen, dass wir seit dem Jahr 2004 positiv bilanzieren.
99 % unserer Einnahmen stammen von den Werbeanzeigen in der Suchergebnisliste. Da wir keine persönlichen Daten unserer Nutzer übermitteln, sind diese Einkünfte zwar geringer als für andere Suchmaschinen-Betreiber, aus ethischen Gründen fühlen wir uns jedoch dazu verpflichtet.
Unsere Gewinne investieren wir in Innovationen und Wachstum. Die Einnahmen decken die Ausgaben und ermöglichen uns, neue Wege zu einem noch besseren Schutz eurer Privatsphäre im Internet zu finden. Unser Team besteht zwar ausschließlich aus Datenschützern und Idealisten. Allerdings stehen alle in einem Dienstverhältnis und erhalten entsprechend Vergütungen.
Lieber Jörg, vielen Dank für deine Zeit und deine ausführlichen Antworten. Die letzten Worte gebühren natürlich dir.
Für die Freiheiten, wie wir sie heute noch haben, sind Millionen Menschen auf die Straße gegangen. In den 70ern wurde von meinen Eltern für Menschenrechte eingestanden. Heute will man uns diese Rechte und Freiheiten streitig machen. Privatsphäre ist für eine gesunde und kreative Gesellschaft eine Notwendigkeit. Deshalb kämpfen wir mit deren Mitteln und versuchen, die Demokratie zu schützen. Es wird Zeit, aus der Komfortecke zu kommen und zivilen Widerstand zu leisten. Das bedeutet, mit Daten sparsam umgehen, passende Software zu nutzen und Initiativen zu unterstützen. Verweigern wir Einblicke jeglicher Art, auch wenn das manchmal für uns unbequem erscheint. Wir bei StartPage werden auch in Zukunft unseren Part gewissenhaft übernehmen.